SUDEP ... oder Wie lebensgefährlich ist Epilepsie?

Mit der Diagnose Epilepsie sehen sich Patienten vor viele Fragen und Herausforderungen gestellt. Es sind die Anfälle selber, die Untersuchungen, die Medikamente, die Reaktion der Umgebung, die Einschränkungen (angenommene oder tatsächliche) …eine lange Liste, die jeder Patient und dessen Angehörige bestimmt ohne Weiteres fortsetzen kann.

Aber wie sieht es bei der Frage nach der Sterblichkeit bei Epilepsie aus? Eltern, die das erste Mal einen Grand-Mal-Anfall (generalisierter tonisch-klonischer Anfall).miterleben, beschreiben diese Situation mit Redewendungen wie z.B.: „Ich dachte, mein Kind stirbt mir unter den Händen weg.“ Die Vorstellung vom Tod durch einen Anfall ist für die meisten Angehörigen und Betroffenen kein unbekannter Gedanke, sondern eher ein ständiger Begleiter. Natürlich haben manche Anfallsformen ein erhöhtes Verletzungsrisiko - besonders, wenn man unglücklich stürzt oder im Wasser ist und die natürlichen Reflexe durch den Anfall ausgeschaltet sind. Eine gute medikamentöse Therapie, die zur Anfallsfreiheit führt, ist dabei der beste Schutz.

Epilepsie verkürzt nicht grundsätzlich und in jedem Fall die Lebenserwartung, allerdings haben Epilepsiepatienten - statistisch gesehen - eine kürzere Lebenserwartung als die Normalbevölkerung. Warum ist das so?

Woran sterben Epilepsiepatienten?
Untersuchungen der Todesursachen ergaben, dass Epilepsiepatienten genauso häufig an Herzinfarkt, Schlaganfall oder Krebs sterben wie die „Normalbevölkerung“. Aber Epilepsien sind sehr individuelle Erkrankungen und daher sollte man etwas genauer hinschauen.

Werden die Anfälle durch eine Grunderkrankung, wie z.B. Hirntumor, schwere Hirnfehlbildung, Stoffwechselerkrankung oder ähnliches verursacht -liegt also eine symptomatische Epilepsie vor - ist auf Grund dieser Erkrankung möglicherweise mit einer verkürzten Lebensdauer zu rechnen. Für diese Aussage spricht die Tatsache, dass die Sterblichkeitsrate der Patienten mit symptomatischen Epilepsien gegenüber der Sterblichkeitsrate der Normalbevölkerung deutlich erhöht ist. Bei den idiopathischen Epilepsien - also Epilepsien, bei denen keine Erkrankung als Ursache festzustellen ist – ist die Sterblichkeitsrate jedoch nur leicht erhöht.

Der Tod als direkte Folge eines Anfalls (also nicht als Unfall) ist ein recht seltenes Ereignis. Am häufigsten kann er im Zusammenhang mit einem Grand-Mal-Status auftreten, wenn die Notfallmaßnahmen nicht greifen. Als Todesursachen können dabei Herzrhythmusstörungen auftreten, das Atemzentrum kann versagen, Hirnödeme- und -schwellungen und noch einige andere Ursachen sind möglich.

Stark erhöht ist der Anteil an Selbsttötungen bei Epilepsiepatienten;, im Vergleich zur Normalbevölkerung ist er 3-4 mal höher. Als Ursache hierfür werden vor allem soziale Probleme, unbefriedigender Krankheitsverlauf und Depressionen angesehen. Eine gute sozialpädagogische Begleitung und frühzeitig einsetzende, antidepressive Therapie können dabei vorbeugend wirken.

Einige Patienten sterben allerdings plötzlich und unvermittelt, ohne dass eine eindeutige Todesursache festzustellen ist. Dieses Phänomen, das - ähnlich wie der plötzliche Kindstod bei Säuglingen - den Patienten und seine Angehörigen mitten im Leben begegnet, wird in der Fachsprache auch mit SUDEP bezeichnet.

Was ist SUDEP?
SUDEP ist das Kürzel für „sudden unexpected death in epilepsy patients“, auf Deutsch also der plötzliche, unerwartete Tod von Epilepsie-Patienten. Manchmal wird es auch „sudden unexplained death in epilepsy patients“, also plötzlicher, unerklärlicher Tod von Menschen mit Epilepsie genannt.

Beide Ausdrücke beschreiben die Haupterkennungsmerkmale des SUDEP. Der Patient hat eine Epilepsie. Der Tod tritt plötzlich und unerwartet ein, er ist medizinisch nicht mit einer Erkrankung oder einem Unfall zu erklären, die Todesursache ist unklar (auch nach einer Autopsie!). Oft finden Angehörige den Betroffenen morgens tot in seinem Bett. Es werden keine Anzeichen für einen Anfall oder für Komplikationen im Anfall festgestellt. Dann spricht man von einem „definitiven“ SUDEP. Ist keine Autopsie erfolgt, sind aber alle anderen Bedingungen erfüllt, dann spricht man von einem „wahrscheinlichen“ (probable) SUDEP. Sind die Informationen über die Todesumstände nicht ganz vollständig, kann der Fall auch als „möglicher“ (possible) SUDEP bezeichnet werden. Alle anderen Fälle, bei denen eindeutige Todesursachen feststellbar sind und nichts auf einen SUDEP hinweist, werden unter dem Begriff „Nicht-SUDEP“ zusammengefasst.

Gibt es Risikofaktoren für SUDEP?
Risikofaktoren für SUDEP zu kennen und zu erkennen, ist sicher eine gemeinsame Aufgabe für Patient und Arzt. Es gibt einige Risikofaktoren für Menschen mit Epilepsie, die zumindest der Arzt kennen sollte:

  • Jüngeres Lebensalter (etwa 15 – 40 Jahre)
  • Männliches Geschlecht
  • Symptomatische Epilepsie
  • Früher Beginn der Erkrankung
  • Häufige tonisch-Klonische Anfälle (auch sekundär generalisiert), besonders in der Nacht
  • Medikamentöse Kombinationstherapie (mehr als zwei Wirkstoffe)
  • Schwankende Blutspiegel der verordneten Medikamente ( oft durch unregelmäßige Einnahme)


Diese Liste von Risikofaktoren gibt nur Hinweise auf das persönliche SUDEP-Risiko, natürlich können z.B. auch Frauen an einem SUDEP sterben. Der eindeutige Risikofaktor für SUDEP ist bis jetzt noch nicht gefunden worden.

Es wird angenommen, dass bei medikamentös gut eingestellten Patienten (am besten Monotherapie und anfallsfrei)  SUDEP etwa 2% bis 25 der Todesfälle ausmacht. Bei therapieresistenten Patienten (d. h. mehrere Medikamente und trotzdem noch Anfälle) kommen manche Studien  auf SUDEP - Verdachtsfälle-in 10 bis 50% der Todesfälle.

Bei Kindern ist das Risiko für SUDEP geringer als bei Erwachsenen, bei älteren Menschen wird SUDEP möglicherweise nicht immer bei der Feststellung der Todesursache berücksichtigt.

Was passiert bei SUDEP?
Welche physiologischen Abläufe bei SUDEP zum Tod führen, ist noch nicht geklärt. In der Diskussion sind Funktionsstörungen des zentralen autonomen Nervensystems, insbesondere Störungen in der Regulation von Atmung und Herzschlag, die dann zum Tod führen können.

Kann ich SUDEP vermeiden?
Einige der  oben genannten Risikofaktoren sind nur begrenzt von Arzt und Patient beeinflussbar. Weder Geschlecht, Alter oder Erkrankungsbeginn lassen sich verändern. Eine optimierte Therapie und Zuverlässigkeit bei der Medikamenteneinnahme allerdings sind Maßnahmen, die von Arzt und Patient gestaltet werden können. Daher ist die empfehlenswerteste Vorsorgemaßnahme, dafür zu sorgen, dass eine bestmögliche Anfallskontrolle erreicht wird.

Weniger sinnvoll ist es allerdings, den Patienten nicht mehr aus den Augen zu lassen. Selbst wenn Kinder mit im Bett ihrer Eltern schlafen, ist das keine Garantie dafür, dass SUDEP nicht auftritt oder rechtzeitig bemerkt wird. Ganz abgesehen von den psychischen Belastungen, die solch eine Rundum-Überwachung für Patienten und Angehörigen bedeutet.

Hilfsmöglichkeiten für Angehörige
In Großbritannien gibt es die Selbsthilfe- Organisation „Epilepsy Bereaved“, die Epilepsie-Hinterbliebenen, welche Informationsmaterial zum Thema SUDEP für den englischsprachigen Raum bereithält und den Angehörigen auf ihrer Internetseite Öffnet einen externen Link in einem neuen Fensterwww.sudep.org Unterstützung anbietet.

Spezielle Unterstützung für Angehörige, die einen geliebten Menschen durch SUDEP verloren haben, gibt es in Deutschland (noch) nicht in organisierter Form. Die Teilnahme an einer Trauergruppe oder einer Epilepsie-Selbsthilfegruppe ist jedoch mittlerweile in fast jeder Stadt möglich. Auch Seelsorger sind gerne bereit mit Gesprächen bei der Trauerarbeit zur Seite zu stehen. Wünschenswert ist auch ein Gesprächsangebot des behandelnden Arztes für die Angehörigen, um eventuelle Fragen zu beantworten. Das ist insbesondere dann hilfreich, wenn noch jemand in der Familie von Epilepsie betroffen ist.

Es ist mit Sicherheit schwer einen geliebten Menschen unerwartet zu verlieren, sei es durch SUDEP oder durch eine andere Todesart. Bei Patienten mit einer schwer einstellbaren Epilepsie sollte man sich bewusst ein, dass diese Möglichkeit besteht. Ob durch SUDEP, Unfall im Anfall oder einen Status, es besteht ein Risiko. Aber - auch Patienten mit anderen chronischen Erkrankungen leben mit ähnlichen Unsicherheiten. Vielleicht sollten wir es mit Curd Jürgens halten:

"Besser man gibt seinen Stunden mehr Leben, als seinem Leben mehr Stunden."

Susanne Fey, Wuppertal